Gebäude-Lebenszyklusanalyse

Anhand von Lebenszyklusanalysen auf Gebäudeebene lassen sich unter anderem die ökologischen, ökonomischen und sozialen Auswirkungen von Gebäuden, bzw. deren stofflicher und energetischer Ressourcenbedarf, auf unsere Umwelt (inkl. Menschen), über deren gesamten Lebenszyklus erfassen, analysieren, bewerten und optimieren.

Eine ökologische Lebenszyklusanalyse wird im Deutschen „Ökobilanz“ gennant. Werden die ökonomischen Aspekte im Rahmen einer Lebenszyklusanalyse betrachtet, dann spricht man von einer Lebenszykluskostenanalyse (engl. Life Cycle Cost Assessment). Die soziale Lebenszyklusanalyse wird im Englischen als „Social Life Cycle Assessment“ bezeichnet.

Bei einer gebäudebezogenen Lebenszyklusanalyse, die als Analyse- bzw. Untersuchungsziel das Thema der Klimaneutralität definiert, liegt der Fokus somit auf der Durchführung von Ökobilanzen.

Ökobilanzen von Gebäuden

Die folgenden Inhalte aus diesem Grundlagenkapitel stammen aus der WECOBIS online-Publikation „Zwischen den Zeilen von Ökobilanzen“ von Patricia Schneider-Marin, Hannes Harter und Michael Vollmer.

Ökobilanzen dienen grundsätzlich der Quantifizierung des Ressourceneinsatzes und der Umweltwirkungen von Produkten oder Dienstleistungen über deren Lebenszyklus. Werden Ökobilanzen berechnet, heißt das nicht zwangsläufig, dass das Objekt der Ökobilanz nachhaltig ist. Es bedeutet lediglich, dass die Umweltauswirkungen eines Produkts oder einer Dienstleistung über deren Lebenszyklus hinweg ermittelt und berechnet wurden. Die Ergebnisse einer Ökobilanz dienen dann als Grundlage für einen Vergleich von Produkten oder Dienstleistungen. Erst der direkte Vergleich ermöglicht es, eine Aussage darüber zu treffen, welches Produkt z.B. weniger Treibhausgase emittiert. Dabei ist zu beachten, dass Ökobilanzen an sich kein Zertifikat darstellen, jedoch Teil einer Gebäude-Zertifizierung sein können. Für Gebäude gibt es Ökobilanzen auf verschiedenen Ebenen, z.B. für

  • einzelne Bauprodukte (z.B. ein Dämmstoff),

  • Bauteile (z.B. ein Wärmedämmverbundsystem oder eine Vorhangfassade),

  • Prozesse (z.B. Energieerzeugung) oder

  • ganze Gebäude.

Ziel einer Ökobilanz

Bevor eine Ökobilanz gerechnet wird, muss zunächst das Ziel definiert werden. Wichtig ist, dass eine klare Fragestellung vorhanden ist, auf die die Untersuchung abgestimmt wird. Beispiele für solche Fragestellungen wären: „Welcher Dämmstoff emittiert im Laufe seines Lebenszyklus am wenigsten Treibhausgas (THG)-Emissionen?“ „Welche Fassadenart benötigt für ihre Herstellung am wenigsten nicht-erneuerbare Primärenergie?“ „Welcher Energiestandard erlaubt bei diesem Gebäude eine lebenszyklusbezogene THG-Neutralität?“ Fragen wie: „Ist dieses Produkt umweltfreundlicher als ein anderes?“ „Holz oder Beton?“ - sind zu wenig präzise, um sie mit einer Ökobilanz beantworten zu können, weil sich umgehend weiterführende Fragestellungen ergeben wie beispielsweise: Unter welchen zeitlichen und räumlichen Umständen (Systemgrenzen, Rahmenbedingungen)? Wo und wie werden die Produkte verwendet (Lebensdauer, Funktion)? Welche Datengrundlagen stehen für die Bilanzierung zur Verfügung?

Funktionelle Einheit

Die funktionelle Einheit beschreibt die zentrale Bezugsgröße, auf die sich die Ökobilanz bezieht, also zum Beispiel, 1 m3Baumaterial, 1 m2beheizte Wohnfläche, 1 Gebäudenutzer, 1 Bürogebäude etc. Die errechneten Ergebnisse der Ökobilanz beziehen sich auf diese Einheit.

Systemgrenzen

Die Systemgrenze definiert sowohl den zeitlichen Betrachtungshorizont (z.B. Lebensdauer des Gebäudes, inkludierte Lebenszyklusphasen) als auch den räumlich-technischen (z.B. welche Materialien und Bauteile bilanziert werden, welche nicht).

Lebenszyklusphasen

Die Lebenszyklusphasen (siehe folgende Abbildung) unterteilen die komplette Lebensdauer des Gebäudes in einzelne Phasen, auch Module genannt. Die erste Phase stellt die Herstellungsphase (A1-A3) dar. Diese Phase bezieht sich auf die Herstellung des Produkts inklusive des notwendigen Rohstoffabbaus. Darauf folgt die Errichtungsphase (A4-A5), wobei Baustellenprozesse z.B. zur Errichtung des Gebäudes aufgeführt werden. In der Nutzungsphase (B1-B7) werden der Energiebedarf für das Gebäude und/oder der Austausch von Materialien und Bauteilen bilanziert. Nach der Nutzungsphase folgt die Entsorgungsphase (C1-C4). In dieser Phase werden alle Prozesse und Wirkungen bilanziert, die mit dem Rückbau des Gebäudes und der Entsorgung und Aufbereitung von Materialien zu tun haben. Daraus entstehende Potentiale wie z.B. Recyclingpotentiale werden in der letzten Phase (Modul D) aufgeführt.

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Datenbanken

Grundlagen für Gebäude-Ökobilanzen liefern Datenbanken, in denen Daten für ganze Produkte zusammengestellt sind, da eine individuelle Bilanzierung aller Prozesse, die für ein Gebäude notwendig sind, viel zu aufwendig wäre. Außerdem würden die Komplexität und die Vielzahl der Annahmen, die getroffen werden müssten, dazu führen, dass Ergebnisse kaum noch vergleichbar sind. Meistverwendet in Deutschland ist die ÖKOBAUDAT. Solche Datensätze sind Momentaufnahmen, die den Durchschnitt von produkt- und dienstleistungsbezogenen Produktions-, Nutzungs- und Entsorgungsprozessen abbilden. Diese können aufgrund technischer und politischer Änderungen dynamischen Schwankungen unterliegen, die in den Datensätzen nicht abgebildet werden. Außerdem gibt es grundsätzlich verschiedene Arten von Datensätzen, wie beispielweise Durchschnittsdatensätze (z.B. Mittelwert für ein Produkt in Deutschland) und spezifische Datensätze (z.B. für ein Material eines bestimmten Herstellers).

Ergebnisdarstellung

Die Ergebnisse von Ökobilanzen gliedern sich in viele Kategorien: Hier gibt es zunächst die „Inputs“, d.h. Materialien und Energie, wie zum Beispiel der nicht erneuerbare Primärenergiebedarf (PENRT) in MJ. Oft wird diese Kategorie dargestellt, wenn es um den Ressourceneinsatz geht. Zweite wichtige Säule sind die Umweltwirkungen. In der aktuellen Diskussion ist hier in den meisten Fällen vom globalen Erwärmungspotential (global warming potential = GWP), gemessen in THG Äquivalenten, die Rede. Output-Kategorien (z.B. radioaktiver Abfall) kommen in Ergebnisdarstellungen selten vor.

Lebenszyklusanalysen bzw. Ökobilanzen großer Gebäudebestände

Mit Hilfe der Nutzung von 3D-Stadtmodellen hat Herr Hannes Harter im Rahmen seiner Dissertation mit dem Titel „Lebenszyklusanalyse der Technischen Gebäudeausrüstung großer Wohngebäudebestände auf der Basis semantischer 3D-Stadtmodelle“ eine Methode bzw. einen generischen Ansatz zur Berechnung der lebenszyklusbasierten energetischen, emissions- und kostenbezogenen Bilanz von Gebäuden und deren Technischer Gebäudeausrüstung (TGA) entwickelt. Der generische Ansatz ermöglicht, dass die Methode auf beliebig große Gebäudebestände (einzelne Gebäude, Stadtquartiere, Städte usw.) angewendet werden kann.

Die entwickelte Methode wurde programmierseitig umgesetzt (Java) und mündet in einem Softwaretool, das ermöglicht, die Methode iterativ auf eine beliebig große Anzahl von Gebäuden anzuwenden. Zudem erlaubt das Tool die Durchführung und Berechnung verschiedener Entwicklungsszenarien bspw. mit dem Ziel der Klimaneutralität. Das Softwaretool wird urbi+ genannt, das als Abkürzung für „urban improvement“ steht. Das + signalisiert den offenen Ansatz, der bei der Entwicklung verfolgt wurde. Dieser Ansatz ermöglicht es, weitere Bewertungs- und Analysehorizonte in fortführenden Arbeiten in urbi+ zu integrieren. Dabei ist z. B. die Erweiterung auf Nichtwohngebäude und den Kühlenergiebedarf geplant. Es ist geplant, dass urbi+ bei der v3sta UG für Untersuchungen im Rahmen der kommunalen Wärmeplanung von Kommunen in Baden-Württemberg zum Einsatz kommt.

Beispielhafte wissenschafliche Ergebnisse inkl. deren Visualisierung können unter der Verlinkung auf GitHub eingesehen werden.